Trends im People Management – Ein Expertengespräch über die Zukunft der Arbeit

Shownotes

Dabei gehen die Experten auf die folgenden Fragen ein:

Wie verändert sich derzeit das Arbeitsumfeld - und welche Trends bestimmen das People Management?

Welche Chancen und Risiken bringt der zunehmende Einsatz von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz?

Was steckt hinter dem Begriff „Future of Work" - und wie gelingt der Wandel hin zu einem funktionierenden hybriden Arbeitsmodell?

Warum rücken Mitarbeitererlebnis, Unternehmenskultur und Purpose stärker in den Fokus - und wie können Unternehmen darauf reagieren?

Welche konkreten Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf Führungskräfte und ihr Rollenverständnis?

Wie kann Führung in einer agilen und dynamischen Arbeitswelt wirksam gestaltet werden?

Welche besonderen Anforderungen stellen hybride Teams an Führung und Kommunikation?

Welche Formate und Methoden haben sich in der Führungskräfteentwicklung bewährt?

Was war der Ausgangspunkt für die Transformation - und wie wurde das Konzept dahinter entwickelt?

Welche Rolle spielte die People Strategy im Veränderungsprozess?

Wie wurde eine überzeugende Employee Experience aufgebaut und nachhaltig verankert?

Wie haben sich Rollen und Verantwortlichkeiten von Fach- und Führungskräften verändert - und wie ging man mit bestehenden Hierarchien um?

Was hat sich rückblickend bewährt - und wo lagen die größten Herausforderungen in der Umsetzung?

Weiterführende Links:

Jörg Staff - Executive Advisor, Autor, Keynote Speaker

„KI-Revolution der Arbeitswelt" (Michael Groß & Jörg Staff, Haufe Verlag, 1. Auflage 2024 ISBN 978-3648176924)

Management-Podcast von CTcon (Folge 27): Finance Learning - Wie die Finance Academy bei Bosch das People Development erfolgreich vorantreibt

„Zukunftsorientierte Talententwicklung im Controlling" (Björn Radtke und Gunnar Elbers, Controlling & Management Review, Ausgabe 6/2024, Seite 8-17)

Management-Podcast von CTcon (Folge 21): Learning Journeys in einem hochdynamischen Umfeld - Management Development & Training bei Bechtle

Transkript anzeigen

00:00:00: Podcast: Zielführung starten - der Management-Podcast von CTcon.

00:00:21: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Zielführung starten, dem Management Podcast von CTcon. Ich bin Christian Bungenstock, Partner bei CTcon in Düsseldorf. Als Gastgeber begleite ich Sie durch diese Episode. Wir sprechen über Trends im People Management und wie sie die Zukunft der Arbeit verändern. Unsere Experten sind heute Jörg Staff und Axel Neumann-Giesen. Jörg Staff war langjährig HR Executive, zuletzt Chief People Officer und Vorstandsmitglied bei der Atruvia AG. Er ist unter anderem Non-Executive Board Member bei der DGFP, Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. Mit über 30 Jahren breiter Führungserfahrung in HR und Transformation bei global orientierten Unternehmen wie Daimler, DHL und SAP, ist er ein Trendsetter für People Experience und digitale Transformation. Axel Neumann-Giesen ist Partner bei CTcon in Bonn. Seit 1998 berät Axel führende Konzerne in Unternehmenssteuerung, Performance Management und in Transformation. Sein Beratungsfokus gilt der Chemie, Energie, Logistik, sowie dem Anlagen- und Maschinenbau.

00:01:35: Axel Neumann-Giesen: Jörg, ich freue mich riesig, dass wir das Gespräch zusammen führen und über Trends im HR und People Management sprechen. Wir kennen uns wirklich schon lange, 25 Jahre, ich habe es mal überschlagen und seitdem haben wir ja immer wieder Kontakt gehabt und von daher freue mich sehr, dass wir ein bisschen zurückblicken, aber vor allem nach vorne blicken auf die Themen, die die HR Community bewegt.

00:01:55: Jörg Staff: Ja, herzlichen Dank Axel für die Einladung in euren Podcast. Wahnsinn, hast du nachgerechnet, über 20 Jahre kennen wir uns schon, das ist natürlich irre. Ich freue mich jetzt drauf auf die nächsten Minuten.

00:02:05: Axel Neumann-Giesen: Ja, sehr gerne. Ich habe in der Tat nachgerechnet und es war mir eine große Freude, dich über verschiedene Stationen auch zu begleiten und freue mich vor allem auch, dass die Zuhörer von deinen Erfahrungen und deinem Blick auf die Themen hoffentlich profitieren können und deswegen würde ich sagen, starten wir doch in das Gespräch. Ich habe eben schon gesagt, Trends im People Management, Trends in HR, da bist du ein Experte in der Community. Erstmal ganz generell, wie blickst du da drauf? Wie verändert sich das Umfeld für Arbeit gerade? Was sind aus deiner Sicht da die Dinge, die die Unternehmen bewegen?

00:02:36: Jörg Staff: Ja, du sagst es, also ich denke, wenn ich so zurückblicke auf meine berufliche Zeit und Karriere, dann würde ich sagen, sind wir momentan in einem der spannendsten Zeiten unterwegs. Also, ich kann mich gar nicht erinnern, bis vielleicht auf den Hype, als das Internet hochkam, dass wir so einen starken Wandel in der Arbeitswelt erfahren haben, mit so vielen Dimensionen, mit so einer hohen Komplexität, so einer hohen Dynamik. Ich glaube, jetzt vor dem Hintergrund der ganzen Weltveränderungen, die uns ja auch alle persönlich betreffen und auch der starken Digitalisierung jetzt durch KI noch mal verstärkt, befinden wir uns tatsächlich in einer Zeit, in der sich Arbeit wirklich extrem verändert, aus meiner Sicht, auch mit einer sehr hohen Schnelligkeit, einer sehr hohen Dynamik. Und es gibt ganz ganz viele Themen, die so auf einmal auf uns niederprasseln in die Organisation oder direkt an den Arbeitsplatz.

00:03:25: Axel Neumann-Giesen: Jetzt war ja lange Digitalisierung das Schlagwort in vielen Funktionen, sei es im Finance Bereich, im HR Bereich, im im Einkauf. Digitalisierung und die letzten, ich sag mal anderthalb Jahre ist GenAI sehr stark in Vordergrund getreten. Hat sich das da drauf gelegt aus deiner Sicht GenAI oder ist das ein Thema, was zu den klassischen Digitalisierungsthemen, ich sag mal Automatisierung, Sourcing Prozesse und ähnliche Dinge, wo sich das ergänzend zu klassischen Digitalisierungsthemen gesellt.

00:03:53: Jörg Staff: Ja, ich habe ja da gerade auch ein Buch dazu veröffentlicht, KI Revolution der Arbeitswelt. Da habe ich mir das Thema ja zusammen mit den anderen Autorinnen und Autoren und meinem Co-Herausgeber ja sehr detailliert die letzten 15 Monate angeschaut. Jetzt kann man natürlich sagen, es ist irgendwo eine Fortsetzung der Digitalisierung. Ich glaube aber auch, dass es eine wahnsinnige exponentielle Skalierung ist, die da stattfindet, weil wir jetzt natürlich einen anderen Weg gehen können. Digitalisierung, du hast es gerade genannt, war sehr funktionsbezogen, also man hat digitalisiert in Finance, in HR, in verschiedensten Funktionen und hat sehr nach spezifischen Digitalisierungslösungen geschaut. Mit KI haben wir jetzt eigentlich erstmalig so eine Art Universaltechnologie im Einsatz, die crossfunktional sämtliche Themenbereiche adressiert. Und das ist natürlich schon ein gewisser Unterschied zu vorher. Und man hat natürlich auch über die Dynamik, die jetzt hier entstanden ist in den letzten Monaten, sehr sehr viele Möglichkeiten und Chancen, nicht nur die Arbeit produktiver oder effizienter zu gestalten, sondern vor allem auch, ich sage jetzt mal, die persönliche Kompetenz auch aufzuwerten und man hat vielleicht auch eine Chance gesünder perspektivisch zu arbeiten als bisher, wenn man KI richtig einsetzt.

00:05:11: Axel Neumann-Giesen: Ja, weil einem viele Dinge abgenommen werden oder Dinge vorstrukturiert werden und man sich dann auf den Value Add on top fokussieren kann und man an vielen Dingen eben nicht mehr das handwerkliche machen muss.

00:05:23: Jörg Staff: Absolut und ich glaube der entscheidende Differentiator zu Digitalisierung ist, dass wir glaube ich alle bisher im Mindset haben, dass IT Werkzeuge sind, die wir einsetzen. Und jetzt mit der KI stellen wir erstmalig eigentlich fest, wir kommen auf Augenhöhe mit einem digitalen Partner. Das heißt, die Arbeitswelt verschmilzt quasi mit der Technowelt, also das Zukunftsinstitut hat das als technosoziale Arbeitswelt bezeichnet diesen Trend, wo wir quasi ja die KI als Partner sehen müssen. Das kann ein Sparringspartner sein, das kann wie Microsoft definiert ein Copilot sein, das kann aber auch ein Teammitglied sein, wo wir auf Augenhöhe mit diesem Partner gemeinsam arbeiten und Lösungen suchen.

00:06:08: Axel Neumann-Giesen: Ja, finde ich auch spannend. Ich hatte neulich auch mit einem Finanzbereich eine Diskussion dazu und die sagten im Grunde auch, zukünftig ist KI sowas wie ein Teammitglied, das eben bestimmte Analysen, bestimmte Auswertungen, auch schon Bewertungen, das wird auch noch mal spannend, inwieweit glaubst du, dass das Thema Bewertung auch da eine Rolle spielt, neben den Analysen und Auswertungen, das aber übernimmt und somit man sich gedanklich vorstellen muss, im Grunde jemanden, der neben einem sitzt und viele Dinge übernimmt, zuarbeitet und rückmeldet. Also dieses Bild von dem digitalen Peer, der Teil des Teams ist, das finde ich sehr treffend.

00:06:43: Jörg Staff: Ja, das ist auch so und ich weiß nicht, wie du mit KI arbeitest, aber bei mir ist es so, ich habe auf meinem Handy, ich glaube fünf oder sechs KIs, die ich ständig einsetze und für mich ist es eigentlich ganz normal, dass ich bestimmte Gedanken von mir noch mal querchecken lasse durch die KI oder mir auch Vorschläge machen lasse oder auch gemeinsames Brainstorming mit der KI mache für Themen, die ich angehe oder auf die ich mich vorbereite. Also für mich ist das eigentlich schon eine Partnerschaft geworden, also im täglichen Leben.

00:07:09: Axel Neumann-Giesen: Ja, also ich kann das teilen, auch ich nutze immer wieder natürlich KI im Beratungsgeschäft, aber auch so natürlich darüber hinaus. Was man eben merkt, ist ist anders als bei mal früheren Tools, geht's ja jetzt bei KI darum möglichst menschlich auch zu sprechen und sich auszudrücken, möglichst präzise, wenn nicht gar redundant Dinge auszudrücken und dann funktioniert das besser, also gar nicht mal technisch kurz und knapp verformelt, sondern wirklich wie man eben mit einem Menschen, mit einem Mitarbeiter sprechen würde, eher auch umschreibend und damit kann eine KI, wenn sie gut trainiert ist, sogar mehr anfangen als mit einem kurzen knappen technischen Befehl.

00:07:45: Jörg Staff: Und es ist ja auch mittlerweile sehr komfortabel über die Spracheingaben, die einige der KI Tools ja bereits anbieten. Also das ist wirklich auch ein sehr angenehmer Umgang mittlerweile.

00:07:55: Axel Neumann-Giesen: Ja, absolut. Jetzt haben wir viel über Chancen von KI gesprochen und teil auch, dass das Funktionsübergreifend einen riesen Schritt nach vorne ist und mal die klassische funktionale Tool denke ablöst. Siehst du da auch dein Gesprächen Bedrohung vielleicht sogar Sorgen. Gerade in Deutschland sind wir auch gerne dabei, sagen beide Seiten immer zu sehen und nicht nur die Chancen. Was beobachtest du da? Wie gehen wir damit um?

00:08:20: Jörg Staff: Also, weil du gerade Deutschland angesprochen hast, ich meine, da treibt mich zunächst mal eine ganz ganz große Sorge um, denn wir in Deutschland sind leider ja international und auch in der EU speziell im Vergleich, was Digitalisierungskompetenzen anbelangt und auch die Sensibilität für das Thema ziemlich hinten an. Wir haben in der Digitalisierung in den letzten 10, 20 Jahren nicht unbedingt einen der vorderen Plätze erreicht und auch aktuelle Umfragen zeigen, dass in Deutschland die Digitalkompetenz somit auf den letzten Rängen in Europa positioniert ist. Das heißt, es ist eine denkbar ungünstige Voraussetzung, um jetzt auch mit KI in Deutschland an den Arbeitsplätzen erfolgreich nach vorne zu kommen. Das muss man erstmal sich veranschaulichen. Es ist eigentlich sogar noch schlimmer, denn es gibt auch eine Studie, die sagt, dass die meisten Deutschen eigentlich kaum in den nächsten 2, 3, 4 Jahren Einfluss von KI auf ihre Arbeit sehen. Und das ist natürlich sehr sehr bedenklich aus meiner Sicht. Also sprich, die Startvoraussetzungen sind wirklich extrem schwer. Und es gibt natürlich auch auf Basis von vielen Erfahrungen, die wir machen in der Gesellschaft, nicht nur in der Arbeit, wenn man das Stichwort Fake News nimmt, natürlich auch sehr viel Vorbehalte zu diesem Thema, auch Sorgen, selbst in Amerika ist, glaube ich, ungefähr 50 % der Amerikaner machen sich Sorgen, dass KI negative Einflüsse haben könnte auf ihre Arbeitsplatzsituation. Und auch in Deutschland wissen wir durch Umfragen, dass gut 30, 35 % der Menschen sich auch Sorgen machen. Es gibt aber natürlich auch viele, die Chancen sehen. Wir haben sehr viel über die Chancen ja gerade schon gesprochen und ich glaube, die Mehrheit der Menschen auch in Deutschland sieht da auch große Chancen in der Nutzung von KI. Und natürlich sind diese ganzen Risikothemen wie Datenschutz, wie Bias, wie ethische Fragestellungen natürlich ganz vorne dran, wenn es darum geht, Vertrauen aufzubauen in diese neuen Partner. Da ist natürlich noch viel viel zu tun, aber auch da kommen wir ja jeden Monat einen Schritt weiter und können auch die Qualität der KI, der Ergebnisse sehr massiv beeinflussen. Das hängt halt immer sehr stark auch davon ab, wie ich mir jetzt z.B. als Unternehmen einen Rahmen dafür schaffe, eine Policy, eine Governance schaffe, um sicherzustellen, dass eben die Prozesse, die in der KI ablaufen, die ich in einem Unternehmen einsetze, auch ethisch, Datenschutztechnisch oder von der Bias Seite her sauber funktionieren. Das lässt sich ja steuern, das lässt sich regeln und das hängt auch sehr viel mit der Dateninfrastruktur zusammen, die ich zur Verfügung stelle. Also da lassen sich viele Dinge auch positiv beeinflussen, um diese Risiken, die vermeintlich da sind, zu minimieren.

00:10:55: Axel Neumann-Giesen: Ja, also ich teile das, ich beobachte auch, dass gerade Unternehmen sich natürlich da auch mit auseinandersetzen, wie kann man mal die KI, die man nutzt so kapseln, dass nicht alles, was an Firmen intern Informationen, Daten, Auswertung ist, irgendwo landet, wo es nicht hingehört. Jeder will natürlich im eigenen Umfeld möglichst breite Nutzung und Nutzung vielfältiger Inputfaktoren und Quellen haben, aber natürlich soll das nicht der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Das nehmen wir als Thema wahr, gerade weil wir auch viel aus dem Finance Controlling Bereich kommen, dass man sich damit auseinandersetzt, wie kann man bei aller Nutzung und bei der Nutzung der Chancen dafür sorgen, dass Informationen nicht an der falschen Stelle landen und ein anderer Gedanke noch, du sagtest hier die Studie, dass viele Leute auch irgendwie das Gefühl haben, das betrifft sie ja gar nicht mit KI und ich vermute aber, dass es sie so wohl betrifft, nur dass sie es noch gar nicht realisiert haben. Also ich es ein bisschen erinnert mich das wie im Internet, da haben viele auch gesagt, na ja, betrifft mich ja nicht, aber das ist nicht eine Entscheidung, ob man Internet einführt und genauso heute mit KI, ob man KI einführt oder nicht, das ist einfach da, damit muss man umgehen, das muss man annehmen und den Rahmen auch verstehen, denn man kann sich dem, glaube ich, nicht entziehen. In zumindest in modernen Unternehmensfunktionen wird man da immer mit betroffen sein. Vielleicht merkt man es gar nicht immer, aber es arbeitet schon.

00:12:12: Jörg Staff: Absolut, also du sprichst da einen sehr guten Punkt an. Es ist ja de facto so, dass mit KI erstmalig eigentlich eine größere, wir nennen das ja in dem Buch Revolution stattfindet auch im Bereich der White Collar Worker, also der Büromitarbeitenden. Und du sagst es auch richtig, man kann sich dem gar nicht entziehen, denn wir haben ja heute schon alle in den Unternehmen in der Regel, ich sag mal, Blutbahnen, die durch IT gefördert und unterstützt werden, durch große Systeme von den verschiedenen Herstellern, Microsoft, SAP, Workday, wen auch immer. Und die arbeiten natürlich alle mit Hochdruck daran, KI auch in ihre bestehenden Systeme mit einzubetten. Und das wird also automatisch kommen, da muss ich eigentlich gar nichts machen, denn die Hersteller werden das direkt in die Unternehmen pumpen und machen es auch schon, wie jetzt SAP am Beispiel mit Joule. Von daher gesehen wird man sowieso damit in irgendeiner Form arbeiten, ob bewusst oder unbewusst. Das hast du genau richtig auch schon erläutert, ja.

00:13:10: Axel Neumann-Giesen: Ja. Ich würde jetzt gern eine Brücke bauen zu einem Schlagwort, das vielleicht so ein bisschen vor 4, 5 Jahren aktuell war, im Zuge von Corona auch viel remote gearbeitet wurde, sondern nicht das Thema New Work, aber das will ich gar nicht nur an diesem Thema Hybrides Arbeiten festmachen. New Work, wie schaust du darauf? Ist das Thema durch und man guckt auf GenAI oder ist New Work weiterhin ein Thema, was die Unternehmen bewegt und die Auseinandersetzung damit, wie auch ob mit oder ohne KI dann Arbeiten aussieht im Unternehmen.

00:13:40: Jörg Staff: Also, ich muss mich da so ein bisschen outen, ich war noch nie Fan dieses Begriffs New Work. Ich fand, das war immer so eine deutsche oder deutschsprachige Abwandlung von einem Trend, der international ja eigentlich mit Future of Work definiert und bezeichnet ist und ich habe es nie verstanden, warum wir da im deutschsprachigen Raum eigentlich so unsere eigenen Abwandlungen brauchen. Und ich habe auch ein bisschen Problem damit, wie sich dieses Thema in den letzten Jahren auch entwickelt hat, in so eine, sage ich mal, softe Ecke, ist aber Future of Work, wenn man das mal als Begriff nehmen weltweit, hat natürlich mit ganz ganz vielen Unterdimensionen zu tun. Hybrid ist da natürlich ein Thema und GenAI ein anderes oder Digitalisierung eines, sondern es geht natürlich insbesondere darum, wie verändert sich eigentlich für uns die Arbeit generell. Und gerade New Work hat ja nie den Gedanken der Digitalisierung beinhaltet, das ist also auch ganz interessant. Das kam ja eigentlich historisch aus dem ganz anderen Eck diese Definition. Von daher gesehen halte ich nicht so viel von dem Begriff und ich glaube, er ist auch nicht mehr en vogue, auch wenn es da viele Fans davon gibt im deutschsprachigen Raum. Ich glaube, entscheidender ist eher, dass man versteht, welche Einflüsse in der Welt, in der Gesellschaft, in der Politik und auch in den Ökosystemen der Wirtschaft, sagen wir mal, die Arbeit beeinflussen. Das ist eben extrem vielfältig. Und das verändert sich auch permanent und ich glaube, das was das am besten bezeichnet ist diese hohe Dynamik, die es da gibt. Also das eben angefangen von Unsicherheiten durch Kriege oder andere Veränderungen in der Welt bis hin zu technologischen Veränderungen, bis hin zu regulatorischen Themen oder auch, sage ich mal, diese Sehnsucht zu mehr Human Experience, also auf der einen Seite haben wir ja sehr starke Technologisierung, auf der anderen Seite sehen wir uns aber immer mehr nach menschlichen Themen auch in der Arbeit, dass das alles Trends sind, die man, glaube ich, als Unternehmen, als Manager irgendwo im Auge haben muss, als HR Chef sowieso oder Chefin, dass man das wirklich auch lesen kann, was sich da in der Welt tut und das auch adaptieren kann für sich und sagen kann, okay, das heißt es jetzt für uns, für unsere Mannschaft, für unsere Strategie, für unsere Werte, für unseren Arbeitsplatz. Ich glaube, diese Kunst Trends zu erkennen, zu analysieren und auf die eigenen Unternehmen zu transferieren. Das ist, glaube ich, eine Kompetenz, die noch sehr wenig entwickelt ist.

00:16:02: Axel Neumann-Giesen: So verstehe ich das auch, also New Work klingt so ein bisschen nach, also früher war es anders und jetzt ist es new und so muss es dann sein und du sagst eher Future of Working, die dynamische Komponente, also man muss als Unternehmen mit Veränderungen umgehen, immer wieder auch adaptieren oder beharrlich bleiben, je nachdem, aber es gibt nicht so den einen Old und New Work, sondern es gibt eher transformatorischen dynamischen Charakter von Arbeit, der auch allein durch die Geschwindigkeit von GenAI, man den gar nicht statisch festklopfen kann für eine Zeit, sondern immer wieder schauen muss, wie muss ich reagieren oder agieren. Finde ich spannend, weil New Work eben in der Tat in Deutschland lange Zeit so ein Schlagwort war, hinter dem viele hinterher gelaufen sind und da habe ich verstanden, dass du da darüber hinaus gesprungen bist eher in Richtung dynamische und Future Betrachtung. Du hast eben einen Begriff benannt, den würde ich gerne da noch mal versuchen einzuordnen. Erlebnis, People Experience ist auch oft ein Stichwort im Kontext mit auch Kultur, Purpose, aber auch, was sollen Mitarbeiter dann im Unternehmen eigentlich in ihrer Rolle erfahren. Jetzt könnte ich ein bisschen schlicht sein. Man sehe es mir nach und sagen, na ja, eigentlich geht's ja um eine Arbeitskraft und eine Arbeitsleistung und People Experience klingt so ein bisschen nach Entertainment und kümmern. Wie schaust du da drauf? Wie nimmst du diesen Begriff wahr und welche Bedeutung hat das aber auch People Experience im Unternehmen zu etablieren?

00:17:23: Jörg Staff: Also, ich bin ja ein absoluter Fan von dem Human Experience und Human Experience Design Gedanken oder auch dieser Idee, dass eben Unternehmen sich auch viel stärker um Menschen bauen sollten. Also, da bin ich ein absoluter Fan davon, auch wenn es um diese Designfragen dazu geht, wie ich sie ja auch bei der Atruvia z.B. viele Jahre betrieben habe. Ich glaube aber auch hier haben wir wieder ein Thema im deutschsprachigen Raum, dass dieser Gedanke gar nicht richtig angekommen ist, also und fast schon wieder verbrannt ist, habe ich so den Eindruck. Denn die Idee dahinter war ja oder ist ja nach wie vor, ich glaube, wir haben viele Jahre alle Unternehmen auf diese Customercentricity, diese Kundenorientierung getrieben, was ja auch eine Menschenorientierung ist, nämlich der Kunde in dem Fall. Und haben vielleicht ein bisschen wenig dazu getan, auch eine Mitarbeiterorientierung zu verfolgen. Und das Besondere ist ja, dass das kein HR Job ist, sondern wie bei der Kundenorientierung, da versucht man ja auch alle Unternehmensbereiche darauf auszurichten, dass sie möglichst bestes Kundenerlebnis erzeugen, dass sie Wert schaffen beim Kunden, braucht es genauso den Aspekt aus einer Gesamtunternehmenssicht über alle Funktionsbereiche hinweg, ein Mitarbeitenden Erlebnis zu schaffen, also auch einen Wert für den Mitarbeitenden zu generieren und ihm zu helfen oder ihr zu helfen, zu prosperieren, zu wachsen. Und das ist eben kein HR Thema und das ist eben genau der Punkt, der hier nicht angekommen ist in vielen Fällen, sondern es ist ein Unternehmensthema, ein Unternehmensübergreifendes Thema, genauso wie die Kundenzentrierung.

00:18:58: Axel Neumann-Giesen: Finde ich ganz spannend. Also ich habe es ja eben so ein bisschen bewusst flapsig formuliert, im Sinne von Erlebnis, aber natürlich die Gefahr, dass es irgendwie in eine Schlagwortecke gestellt wird, aber Experience eigentlich deutlich mehr und in Zeiten Fachkräftemangel in aller Munde, das heißt, man muss sich schon auch überlegen, wie halte ich Talente, wie kann ich denen auch Wege aufzeigen und wie kann ich als Unternehmen dort auch Chancen bieten, auch in veränderten Wertekonstellationen bei Mitarbeitern, gerade bei jungen Mitarbeitern, nehme ich das so wahr, dass du sagst, man muss das weiterdenken und als Unternehmensaufgabe sehen, letztlich das Team, dem Team Perspektive auch mitzugeben und es ist weit über mal kümmern hinaus, sondern eben viel damit zu tun, auch die Rolle mit Chancen zu versehen und auch Eigenmotivation auszulösen.

00:19:42: Jörg Staff: Ja, und es ist vor allem auch viel mehr als Wohlfühlaspekt. Also natürlich ist es so, dass Unternehmen in diesem Konstrukt, wenn man sich auf das Thema Employee Experience fokussiert, auch das Wellbeing, auch das Happiness berücksichtigen müssen für Menschen, aber am Ende des Tages geht's natürlich auch darum, produktiv zu sein, dass man die richtigen Kapazitäten, die richtigen Kompetenzen an Bord hat, dass Menschen wachsen können in ihrem Mindset, in ihren Fähigkeiten. Also da sind schon auch harte Faktoren spielen da eine Rolle, aber ich glaube, das Entscheidende ist, dass es eben ein 360° Blick darauf ist und dass eben auch Facetten, die man vielleicht in der Vergangenheit nicht so beleuchtet hat, auch mehr in den Vordergrund stellt, weil Menschen empfinden eben mit ihren gesamten Sinnen und nicht nur mit ihrem Brain, ja, da ist da spielt Emotionen eine Rolle, da spielt Geschmack eine Rolle, ja, sagen wir mal attraktives Betriebsrestaurant z.B., ja, also mal so eine Facette mit reinzubringen oder Ausstattung der Arbeitsplätze, fühle ich mich da wohl, wenn ich dort arbeite. Es ist halt ein Gesamterlebnis und das kann nur von allen Unternehmensbereichen insgesamt gebildet werden und nicht nur von einem Fachbereich.

00:20:53: Axel Neumann-Giesen: Ich würde gern ein bisschen überlenken und in Richtung, was heißt denn das dann für Führungskräfte und für Führung, die Themen, die wir jetzt besprochen haben, aber nutze mal so eine auch aktuell diskutierte Brücke hängt auch mit Führung zusammen, deswegen kommen wir da mit Sicherheit darüber auch hin. In der Vergangenheit sehr stark die Entwicklung in Richtung Homeoffice. Jetzt merke ich zumindest bei vielen Unternehmen Stück weit und du hast eben auch adressiert über Arbeitsumgebung schaffen, wo man sich wohlfühlt. Jetzt merke ich bei vielen Unternehmen auch, dass mal direkter und mal indirekter, aber schon auch wieder Präsenz gesucht wird, einfach um die Teams zusammenzubringen, um Unternehmenskultur zu pflegen, nicht so kategorisch, wie es vielleicht vor 10 Jahren waren, obwohl da gab es auch, wenn man genauer hinguckt, Unterschiede, aber das so ein bisschen ein Weg zurück, Teams wieder zusammenzuholen. Das heißt, Führung verändert sich auch wieder, also das Thema führen auf Distanz, Hybride Teams war vor was ich drei, vier Jahren großes Thema. Jetzt wird's, glaube ich, ein bisschen variabler, weil eben durch diese Präsenz Führungskräfte ein Mix haben aus direkter persönlicher Interaktion, virtuellen verteilten Teams. Was heißt das für Führungskräfte jetzt in dieser Veränderungslage zu agieren.

00:22:00: Jörg Staff: Also, ich sag mal, für Führungskräfte ist das Ganze natürlich sehr herausfordernd, denn das eine ist, die meisten Führungskräfte haben ja heute Multigenerational Teams, die sie führen, also zwei oder drei Generationen, die quasi in einem Team arbeiten. Und die verschiedenen Generationen haben natürlich verschiedene Ansprüche an Teamarbeit, an Individualarbeit etc. Und deshalb ist das natürlich schon mal von Grund her eine große Herausforderung für viele Führungskräfte. Ich glaube, ein anderes Thema, was natürlich auch eine große Rolle spielt, ist das Thema Vertrauen. Also Trust und das ist sicherlich auch ein Merkmal dafür, dass man eben in der Vergangenheit jetzt auch festgestellt hat, dass ein bisschen Vertrauen verloren gegangen ist, durch vielleicht die Entfernung von Menschen vom Arbeitsplatz, von der Führungskraft. Und es ist so ein bisschen so wie beim Hosenbandträger, dann zieht man wieder zurück. Was natürlich oft ein bisschen schade ist, ist, dass er jetzt eigentlich auch eine gute Chance darüber nachzudenken, wann macht es eigentlich Sinn ins Unternehmen zu kommen, um gemeinsam zu arbeiten, also wirklich noch mal herauszustellen und herauszuarbeiten, vielleicht auch als Führungskraft, warum treffen wir uns eigentlich gemeinsam jetzt? Also, was haben wir davon, wenn wir uns gemeinsam jetzt zu bestimmten Themen, wie z.B. zu einem PI Planning oder zu einem Führungskräfte Event oder zu einer Qualifizierung oder zu einem Projekt treffen. Ich glaube, das ist entscheidender noch für Führungskräfte, das deutlicher zu machen, wann gemeinsame Arbeit sinnvoll ist und bessere Ergebnisse erzielt. Und ich glaube, dass für Führungskräfte es auch immer anspruchsvoller ist, mehr emotionale Führung zu zeigen. Also, ich bin ja ein Fan von dem Prinzip des Servant Leadership und wo ich eben als Führungskraft sehr viel dafür tue, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen für mein Team, damit das Team und jeder einzelne oder jede einzelne erfolgreich arbeiten und wachsen kann. Ich denke, das sind sehr viele Aspekte, die man in der Führung heute berücksichtigen muss. Die Herausforderungen sind eben genauso komplex für mich als Führungskraft, wie auch für jeden einzelnen am Arbeitsplatz. Und ich glaube, das alles unter einen Hut zu bringen ist ein ziemlicher Stretch und erfordert auch eine große Resilienz von vielen Führungskräften, diese Dinge, diese Veränderungen auch auszuhalten und auch ja gut rüberzubringen an die Mannschaft.

00:24:16: Axel Neumann-Giesen: Ja, ich würde das Thema Agile Organisation an der Stelle gerne noch mal aufgreifen. Also wir haben das in den letzten Jahren auch immer wieder gehabt, dass man drüber diskutiert hat, Mensch, kann man die Organisation agiler aufstellen, also Stückweit sich von Rollen zu lösen und das hängt natürlich auch stark von dem Bereich ab. Also, wenn du jetzt meinem Finance Bereich, da gibt's oft sehr spezialisierte Prozessnahe Tätigkeiten. Da ist dann schwierig, heute macht's der eine, morgen macht's der andere, weil einfach da so viel Fachwissen, Spezialwissen gefordert ist und da leidet die Effizienz und auch so mal die Arbeitszufriedenheit, wenn das dann zu kunterbunt durcheinander geht. Auf der anderen Seite merke ich schon, dass so mal Projektanteile und damit auch variable Arbeitsinhalte einen höheren Stellenwert haben als vielleicht noch früher. Also, das ist eher aus meiner Sicht eine Kombination ist, also agiles Arbeiten heißt nicht, jeder macht alles, wann er will, mach's mal ein bisschen platt, sondern heißt durchaus eher, es ist je nach Funktionsbereich unterschiedlich, mal mehr, mal weniger, aber eher eine Kombination aus Projekt und situativen Arbeitseinsätzen und so mal Regeleinsätzen, wo man auch trotzdem einer gewissen Spezialisierung natürlich unterliegt und diese auch gehalten werden muss.

00:25:25: Jörg Staff: Ja, also du sprichst einen ganz guten Punkt an Agilität. Ich meine, da muss ich jetzt leider auch sagen, sind wir auch wieder im deutschsprachigen Raum nicht ganz so erfolgreich unterwegs in dem Thema. Mittlerweile ist das Thema ja auch irgendwo gefühlt verbrannt. Und ich bin auch der Meinung sehr häufig missverstanden, denn Agilität heißt und du hast es schon ein bisschen angedeutet, heißt eigentlich nicht Chaos, sondern genau das Gegenteil, eine extrem hohe Disziplin. Also man arbeitet ja viel methodischer, viel strikter, viel verbindlicher zusammen, hat klare Regeln, die man einhält, klare Methoden und das wird häufig missverstanden und um das zu beherrschen vor allem dieses Instrumentarium, brauchst natürlich gute Education, es braucht vor allem sehr viel Disziplin und natürlich liegt auch dahinter ja das Konzept der großen Eigenverantwortung von Teams und Mitarbeitenden. Das heißt für Führungskräfte auch loslassen, was auch vielen sehr sehr schwer fällt und Agilität heißt ja auch crossfunktional zusammenzuarbeiten, das heißt crosshierarchisch zusammenzuarbeiten, das heißt crosslokationsweise zusammenzuarbeiten. Allein in den drei Faktoren steckt schon so viel Sprengstoff in einer klassischen Organisation, so viele Hindernisse, die zu überwinden sind, dass Agilität dann gar nicht realisiert werden kann. Also meine Beobachtung ist tatsächlich und das hängt halt auch wieder sehr stark davon ab, wie im Topmanagement das Thema aufgesetzt wird und verankert ist. Es hängt extrem von der Führung ab, also so ein Thema erfolgreich zu machen. Als ich damals bei Atruvia das Modell eingeführt hatte mit der Gleichwertigkeit der Rollen, hatte ich eine Deutschlandstudie gemacht und habe dann gesehen, dass es eigentlich gar kein Unternehmen gab, das bis zum Topmanagement Fachexpertenrollen zugelassen hat. Da gab es, glaube ich, nur eine Handvoll in ganz Deutschland. In der Regel hört das dann irgendwo auf der sogenannten Abteilungsleiter Ebene dann auf mit diesen Fachexperten in der Wertigkeit und es geht gar nicht mal um die Wertigkeit nur des Jobs, sondern es geht ja vor allem auch um die Frage der Einflussnahme in strategische Entscheidungen und in der Beteiligung von strategischen Entwicklungen des Unternehmens und da da kann man halt deutlich sehen, dass wir da uns sehr sehr schwer tun in Deutschland diese Gleichwertigkeit zu schaffen.

00:27:40: Axel Neumann-Giesen: Ja, würde ich gerne noch mal vertiefen, denn deine Erfahrung bei der Atruvia ist, glaube ich, wirklich unterm Brennglas, das was für viele andere Unternehmen, die da unterwegs sind, auch hilfreich sein kann, weil in der Tat, so habe ich es wahrgenommen, sehr früh, ihr kamt ja damals aus einer ja Merger Situation, musste im Grunde aus zwei Unternehmensteilen das Unternehmen neu nicht nur benennen, sondern auch aufstellen. Das war, glaube ich, ein Stück weit dann die Basis, aber das wird mich noch mal interessieren als Vertiefung, welche Erfahrung ihr da gemacht habt, denn du sagtest es, wenn ich so ein bisschen in die Klamottenkiste der HR greifen darf, also Fachlaufbahn war lange Jahre immer so ein Stichwort, wahrscheinlich vor 10 Jahren, wo man gesagt hat, wir wollen führen eine Fachlaufbahn ein. Mein Eindruck ist, das war manchmal so ein bisschen Feigenblatt Aktivität, nicht bei allen und oft sicherlich gut gemeint, aber so ein bisschen Feigenblatt, so richtig viel machen konnte man doch nicht, also hat man irgendwie versucht sowas zu bilden, was aber irgendwie dann doch gegen die Decke gestoßen hat relativ schnell. Das habe ich jetzt deinem Statement entnommen, habt ihr versucht oder bei der Atruvia anders aufgesetzt und wo seid ihr da gelandet und was können andere Unternehmen mitnehmen?

00:28:41: Jörg Staff: Ja, ich denke mal, die Frage ist ja erstmal, warum muss ich was verändern in meiner Organisation? Also, wie groß ist da der in Anführungszeichen Case for Change und was ist eigentlich notwendig in die Zukunft, wenn ich visionsmäßig oder strategisch auf mein Unternehmen, den Markt und die Wettbewerber und die Kunden schaue. Als wir diesen Prozess damals bei der Atruvia eingeleitet haben, waren wir ja, wie du schon richtig sagtest, nach einem Merger. Das heißt, wir haben in der Zeit eines Mergers auch typisch Mergermäßig oder PMI mäßig, Post Merger Integration mäßig gearbeitet. Das heißt, wir haben nach Synergien gesucht, Personal abgebaut, wir haben Prozesse gestreamlined und so weiter und so fort. Und sehr stark mit uns intern beschäftigt und so ein bisschen den Kunden aus den Augen verloren in der Zeit und haben dann auch in der Phase sehr schlechtes Feedback bekommen, also sowohl von den Kunden als auch von den Mitarbeitenden. Stimmung war nicht optimal, wie es häufig so ist in so PMI Prozessen. Ja, und dann war eben so die Kernfrage, wie können wir eigentlich aus diesem neuen Unternehmen ein erfolgreiches Unternehmen machen, das auch prosperiert, das von den Kunden wertgeschätzt ist, das innovative Produkte rausbringt, dass die Mitarbeitenden lieben. Und diese Kernfrage haben wir uns mal gestellt gehabt und sind dann letztlich eigentlich auch mit einer Einschätzung, wo wir eigentlich im Markt stehen, zu dem Ergebnis gekommen, wow, also wir haben jetzt ganz schön viel Zeit verloren in den Jahren. Da jetzt den Markt wieder aufzuholen und wieder gut im Wettbewerb zu stehen, das bedarf einer exorbitanten Anstrengung und da haben wir gesagt, das kann man jetzt durch viele Projekte machen. Das wird aber Jahre dauern, wird nicht erfolgreich sein. Wir haben ein Grundproblem in der DNA, wir haben auch ein Grundproblem in der Art, wie wir als Board, als Vorstand arbeiten, wir müssen das Mindset ändern. Wir gehen disruptiv vor und so sind wir damals eigentlich gestartet, dass wir gesagt haben, wir haben uns selber in Frage gestellt und auch die Zusammenarbeit im Vorstand in Frage gestellt und quasi nach vorne geschaut, was muss sich disruptiv verändern, damit ähm das Unternehmen prosperieren kann und besser wird. Und letztlich war das der Beginn einer Reise, einer Transformationsreise, in der kein Stein auf dem anderen geblieben ist, aber trotzdem im Rahmen der Transformation sehr orchestriert vorgegangen wurde, weil es eben alle Bereiche betroffen hat. Die Visionsbildung, die Strategiebildung, die Wertedefinition und dann eben bis runter auf die Frage, wie muss ein Arbeitsplatz aussehen, wie müssen die Rahmenbedingungen von Arbeitsplätzen aussehen, welche Karrieremöglichkeiten muss es im Unternehmen geben, welche Rollen braucht es zukünftig im Unternehmen und nach welchen Methoden arbeiten wir? Also da gab es sehr sehr viele Facetten, die dann über die Jahre hinweg quasi alle systematisch angegangen worden sind und letztlich nur als Orchester auch erfolgreich waren. Das muss man, glaube ich, auch ganz klar sagen. Ich gucke immer mit sehr viel Stolz zurück, weil wenn ich mir die Kununu Bewertung anschaue, sind die immer noch top. Auch jetzt, wo ich knapp zwei Jahre weg bin von dem Unternehmen und dann kann ich auch wirklich sagen, dass die Veränderung nachhaltig war und eben kein Strohfeuer war, um dieses Unternehmen zu einem der besten Arbeitgeber in Deutschland zu machen.

00:31:49: Axel Neumann-Giesen: Das klingt super spannend. Du sagtest, das ist eine Orchestrierung und ihr habt euch im Vorstand zusammengesetzt. Also ich nehme mit, das ist auch keine Aktivität, die HR alleine machen kann, obwohl es vordergründig auch viel um Rollen geht und um Dinge, wo man sagen würde, das ist doch eine HR Aufgabe, aber eigentlich ist es eine Gesamtmanagement Aufgabe, die Karten zu legen und zu sagen, wie wollen wir eigentlich dieses Unternehmen schaukeln, wie wollen wir eigentlich miteinander umgehen und wie wollen wir eigentlich Kunden und Mitarbeiter begeistern.

00:32:15: Jörg Staff: Es ist definitiv so und es fängt tatsächlich on the Top an, denn wenn ich in eine Agilisierung gehe, dann fange ich im Vorstand damit an. Das heißt, ich muss meine Arbeitsweise, meine Zusammenarbeit im Vorstand gründlich ändern und auch nicht nur die im Vorstand, sondern auch die des Vorstands mit der Organisation an sich und das fängt natürlich damit an, dass ich auch im Vorstand agile Arbeitsweisen, agile Methoden einsetze, mit Kanban und ähnlichen Dingen arbeite, vielleicht auch ein Weekly mache oder andere Tools einsetze, um meine Zusammenarbeit zu verändern. Und das heißt natürlich auch, dass ich nicht Themen in meinen Silos vorantreibe nur, sondern insbesondere sehr stark crossfunktional Themen bearbeite und das bedarf ja dann den Support von mehreren Vorstandskollegen und eben nicht nur einem, der vielleicht Federführend unterwegs ist. Und und da fängt das Ganze an. Also da wird es übrigens auch, ich sage jetzt mal, geprooft von den Mitarbeitenden, ob denn diese Situation, ob das denn diese Veränderung auch ernst gemeint ist. Und das merkt man vor allem auch daran, wenn man dann mal misst, wie stark sich das Topmanagement eigentlich mit den Themen der Menschen im Unternehmen beschäftigt, wie sichtbar das Topmanagement dort ist und in welcher Form es in Themen dort, sage ich mal, beteiligt wird. Also findet ein klassischer Entscheidungshierarchiefluss nach wie vor statt oder treffen Organisationen, Teams viel stärker Entscheidungen für sich, haben sie eine größere Kompetenzverantwortung, Kompetenzregelung als bisher. Das kann man sehr sehr praktisch auch an den Kompetenzregeln des Unternehmens nachmessen, ne? Also, über was entscheidet ein Mitarbeitender am Arbeitsplatz, wenn er Arbeitsplatzausstattung z.B. braucht, ja? Darf er selber entscheiden, ob er ein Handy, ein Notebook oder was auch immer braucht oder brauchst du da noch mal drei Genehmigungen? An solchen Pulthemen kann man sehr gut spüren, wie ernst hat sich die DNA verändert oder nicht, ja?

00:34:10: Axel Neumann-Giesen: Gab's da Beobachtungen, dass Bereiche unterschiedlich sich leicht oder schwer damit getan haben? Also auch ein bisschen auch die Frage, واs sind so die Herausforderungen in der Umsetzung gewesen, denn ich sag mal ein Bereich, um mal ein paar Extremer zu nehmen, in dem Strategieabteilung, da ist man eh gewohnt deutlich variabler zu arbeiten, kann auch sozusagen dann mit Vorstandsterminen auf der einen Seite dann wiederum eintauchen in Funktionalbereiche, aus der Vergangenheit davon zähren, andere Bereiche, die eher im eigenen Bereich nah am System, sehr eng am Prozess in der Wertschöpfung gearbeitet haben, haben vielleicht gar nicht so den Bedarf gesehen oder zumindest nicht die Übung damit gehabt, so zu agieren. Gab's da Unterschiede? Musste man da mehr Überzeugungsarbeit leisten in einen Bereichen oder die anderen oder war es so, dass eigentlich alle gesagt haben, ja, das hilft uns jetzt als Atruvia in dem Fall in Summe weiter.

00:34:58: Jörg Staff: Also es gibt definitiv je nach Funktion, Aufgabenbereichen unterschiedliche Ausprägungen der Agilität. Ich sag mal in der Softwareentwicklung als ein Extrembeispiel, da kannst du eben sämtliche Methoden mehr oder weniger anwenden, um agil zusammenzuarbeiten, während du vielleicht in anderen Funktionsbereichen, wie der Revision deutlich abspecken musst und natürlich auch hier vielleicht auch starke formale Wege eingehen musst, wo du dann mit der Agilität ein bisschen auf der Strecke bleiben kannst. Aber was entscheidend ist, ist, dass die Rahmenbedingungen agil sind. Das heißt, das Mindset und bestimmte Grundthemen müssen alle im Unternehmen mittragen und verstehen. Also, es macht auch keinen Sinn und das ist ja auch ein Grund, warum Agilität häufig in Unternehmen scheitert, wenn du in einem Bereich, in einem Funktionsbereich quasi Agilität in seinen Methoden komplett ausprägst und der Nachbarbereich gar nicht versteht, weil er gar nicht qualifiziert ist in den Themen oder weil er gar nicht das Mindset hat oder die Menschen dort gar nicht verstehen, was in dem Bereich abläuft. Das heißt, man muss ein gegenseitiges Verständnis erzeugen zum Thema Agilität, man muss ein Mindestmaß an Definition haben und auch Gemeinsamkeiten haben in der DNA, ob das jetzt das gemeinsame Wertesysstem ist, ob das bestimmte Methoden sind, die Flächendeckend angewandt werden, wie z.B. Kanban kannst du überall anwenden, das ist unabhängig von dem Funktionsbereich. Du kannst auch Daily Weeklys und so weiter überall anwenden und du kannst auch eine agile Portfolioplanung Funktionsübergreifend sehr gut anwenden, um quasi die richtigen Prioritäten im Unternehmen zu setzen, um die strategischen Ziele zu erfüllen. Das ist auch Funktionsunabhängig voneinander und dieses Verständnis dazu, wie man eigentlich Wertschöpfung seines Beitrags definiert, auch dazu kannst du gemeinsame Kriterien definieren. Also es gibt ganz ganz viele Facetten, die durchgehend bei allen da sein müssen und es gibt dann im operativen Doing gibt's Unterschiede in der Tiefe der agilen Anwendung.

00:36:57: Axel Neumann-Giesen: Habt ihr bei der Atruvia auch, um das zu verstärken, mal Führungskräfteentwicklung gemacht auch in übergreifenden Teams. Wir haben bei uns bei CTcon, da haben wir gute Erfahrung gemacht mit sogenannten Lernreisen, wo wir eben Führungskräfte über eine gewisse längere Zeit mit verschiedenen Methodenelementen zusammenbringen, sei es Projektarbeit, sei es dann teilweise auch externe Impulse etc., um die eben auf so einer Transformation auch als Führungskräftegruppe mitzunehmen. Habt ihr solche Formate auch genutzt oder wie schaust du daraus, wie wie kann man Führungskräfte besonderer Weise darauf vorbereiten?

00:37:33: Jörg Staff: Also zunächst mal war ja eins der Themen bei der Atruvia, ist denn klassische Führung dort noch zeitgemäß vor diesem disruptiven Vorgehen, das dann angewandt wurde. Und wir haben damals eben festgestellt, ne, wir brauchen viel mehr Breite in der Führung und haben das klassische Führungsmodell abgelöst durch ein Rollenmodell. Und in diesem Rollenmodell haben eben auch Experten und Expertinnen oder Projektleiter, Projektleiterinnen etc. eine gleiche Behandlung wie Führungsrollen. Und es sind natürlich viele neue Rollen durch Agilität entstanden, wie Product Owner und so weiter. Also gab es viele viele neue Rollen auch, die aus dem Agilen kommen. Und diese Rollen haben wir damals in den Kontext gesetzt zur Unternehmensorganisation, so dass es also im Folgenden auch schon gar nicht mehr das typische Führungsmeeting gab, sondern es waren ja gemischte Rollen, die dann sich getroffen haben und sich weiterentwickelt haben. Das ist schon mal der erste Punkt und der zweite ist, inhaltlich ist sehr viel über experimentelles Lernen gelaufen, weil sagen wir mal, crossfunktional zusammenarbeiten oder crosshierarchisch zusammenarbeiten, muss man erleben. Und das wurde durch bestimmte Themen, die eben gesetzt waren oder die anzugehen waren, live ausprobiert und gemacht. Also man hat eben agile Teams zusammengestellt, die crossfunktional, crosshierarchisch waren, haben dort die Themen bearbeiten lassen, haben gleichzeitig immer dafür Sorge getragen, dass Methodik und Wissen vermittelt wird und Erfahrungen entstehen, die geteilt werden müssen von den Teams mit anderen. Und dieser Prozess, also ist eigentlich ein bisschen anders als klassisches Lernen, hat dazu beigetragen, Erlebnis, funktionales oder oder methodisches Lernen und Reflexionen, iterierendes Vorgehen, also nur Inkremente, also erste Ergebnisse erzielen, die dann in den nächsten Schritten weiter professionalisiert worden sind. Also all diese Dinge zusammen haben eigentlich das Lernen ermöglicht und auch ausgemacht. Es ging also nicht um klassische Wissensvermittlung im eigentlichen Sinne nur, sondern das Entscheidende war das persönliche Erleben. Also ich erinnere mich noch an Momente, als wir diese ersten Veranstaltungen hatten, wo eben Mitarbeitende mit Führungskräften, auch Topführungskräften zusammen in einem Projektteam Themen bearbeitet haben und Mitarbeitende rausgekommen gesagt, das ist ja auch nur ein Mensch. Also, ich konnte mit dem ganz normal reden, mit dem habe ich vorher nie Kontakt gehabt. Der hat mich auch angehört, der hat verstanden, was ich für eine Meinung zu dem Thema habe und hat sie auch akzeptiert und so. Also das waren so die Erlebnisse, die dieses Zusammenarbeiten auf Augenhöhe, was ja auch ein Merkmal der Agilität ist, ausgemacht haben. Diese Erlebnisse waren viel entscheidender noch als das Training an sich.

00:41:19: Axel Neumann-Giesen: Man klassisch kaskadiert man ja, wie nehme ich die Führungskräfte mit, wie bringe ich die in die Lage, das dann weiter in die Organisation zu tragen und du sagst, das finde ich super spannend, du sagst, wenn ich jetzt so eine agile Organisation aufbaue, wie ihr es bei der Atruvia gemacht habt, dann hilft es mir eigentlich gar nicht Führungskräfte in gewissen Kaskaden als Gruppen zu greifen, sondern ich muss viel mehr dann auch in den Rollen die Leute zusammenbringen und auch das ist dann Teil des Lernens und Stück weit verändern sich damit auch Zielgruppenstrukturen, die man vielleicht in der Vergangenheit angelegt hat.

00:41:50: Jörg Staff: Ja, und das Lernen entsteht durch die Interaktion, also in der Art, wie ich zusammenarbeite als Führungskraft mit meinem Umfeld und nicht darin, wie ich mich in meiner Kohorte von Führungskräften irgendwie weiter qualifiziere, ja? Das ist ja nicht repräsentativ zum realen Leben.

00:42:05: Axel Neumann-Giesen: Ja, wir sind jetzt schon zum Ende unseres Podcast gekommen. Die Zeit fliegt und von daher vielleicht noch mal ein Blick nach vorne auch. Ich nehme dich als jemand wahr, der für die Themen brennt, der vieles aus dem, was er in den Praxisstationen der Vergangenheit aufgegriffen und entwickelt hat, so mal nach vorne auch weiter lebt und in die Unternehmen trägt. Was hält dich am Laufen? Was motiviert dich, dich mit diesen Themen auseinanderzusetzen? Vielleicht zum Abschluss noch mal einen Blick auf deine Agenda und deine Motivation.

00:42:32: Jörg Staff: Ja, es ist vielleicht ein bisschen einfach gesagt, aber ich arbeite total gern mit Menschen zusammen und dadurch, dass ich ja sehr sehr viel in großen Organisationen mit Vorständen über viele Jahre zusammengearbeitet, selber 10 Jahre Vorstand war, habe ich, glaube ich, sehr sehr viel gesehen und auch sehr viel für mich mitgenommen, wo ich sag, das kann man besser oder anders machen und eigentlich sehe ich mich so ein bisschen berufen heute in der Phase, in der ich jetzt bin, wo ich auch die Dinge machen kann, die mir Spaß machen und die meiner Leidenschaft entsprechen, sehe ich so ein bisschen als meine eigene Pflichtaufgabe, vielleicht liegt es auch in meinem Namen Staff, ja, ein bisschen daran beizutragen, dass Unternehmen nachhaltiger und menschenorientierter geführt werden. Das heißt, das sowas treibt mich voran.

00:42:15: Axel Neumann-Giesen: Ja, vielen Dank. Ein tolles Schlusswort und du hast es zwischendurch gesagt, Spaß haben, also es hat mir große Freude gemacht mit dir zu sprechen, lieber Jörg und bin ganz sicher, dass viele, die den Podcast hören, hoffentlich und ganz gewiss auch spannende Nuggets, wie man so schön sagt, für ihren beruflichen Alltag mitnehmen können. Ganz herzlichen Dank für die Zeit. Ich hätte fast gesagt, auf die nächsten 20 oder 25 Jahre, aber da schauen wir mal, ob das der Fall ist. Also noch mal ganz herzlichen Dank für deine Zeit, Jörg und auf bald.

00:42:43: Jörg Staff: Ja, herzlichen Dank Axel für die Einladung und ich freue mich auf unser nächstes Wiedersehen.

00:42:50: Christian Bungenstock: Wir sind am Ziel unserer heutigen Etappe angekommen. Wir hoffen, dass Ihnen die Episode gefallen hat und Sie wertvolle Impulse für Ihre berufliche Praxis gewonnen haben. Abonnieren Sie jetzt Zielführung starten, um in die nächste Folge direkt wieder einzusteigen. Wir freuen uns, wenn Sie wieder mit an Bord sind.

00:43:09: Podcast: Das war Zielführung starten, der Management Podcast von CTcon.

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